ED/CTA-Press
Bauma, 2. Oktober
17 Uhr 45: Eine Gruppe von rund 50 Personen - mehrheitlich Reiseveranstalter
- steigt fröhlich in den Zug, der mit qualmender Dampflokomotive
bereit steht. Eingeladen hat die junge Winterthurer Firma "Railevent"
(www.railevent.ch), um ihre Produkte mit einem Promotionsausflug bekannt
zu machen.
1804: Ein Pfiff - und der Zug und seine zwei Wagen setzen sich
pünktlich in Bewegung. Fauchend und zischend nimmt die wackere kleine
Lokomotive die starke Steigung Richtung Bäretswil unter die Räder.
Hinten im Barwagen macht es sich die Gästeschar gemütlich. Feiner
Weisswein und hübsch arrangiertes Aperitif-Gebäck wird offeriert,
alle richten sich für eine längere Fahrt nach Hinwil bequem
ein.
18 Uhr 10: Bahnhof Neuthal: Der Lokomotivführer beginnt wütend
zu pfeifen. Die Barrieren sind nicht geschlossen! Das Gleis ist blockiert
durch einen dunkelblauen alten Citroën mit geöffneter Motorhaube.
Sofort leitet der Lokführer eine Notbremsung ein und bringt den Zug
mit kreischenden Bremsen kurz vor dem Hindernis zum Stehen. Bevor Lokführer
und Heizer begreifen, was los ist, stürmt ein Mann mit einer Pistole
auf die Lok zu, klettert hinauf und droht der Besatzung, eine Ladung Dynamit
zu zünden.
Die folgenden Aktionen laufen gleichzeitig ab und können gar nicht
so schnell beschrieben werden, wie sie durchgezogen wurden.
- Eine Dame, die vorher unauffällig auf dem Bahnsteig gewartet hat,
zieht eine Parabellum und steigt hinten in den Barwagen.
- Ein Herr mit einem Trommelrevolver eilt hinter dem Citroën hervor
und gibt einen oder zwei Schüsse ab, die glücklicherweise niemanden
treffen. Dann schwingt er sich vorne auf den Barwagen.
- Der Fahrer einer "Indian", die beim Bahnhof abgestellt war,
sichert mit einer Pistole den Bahnsteig, während sein Komplize mit
Lederkappe und Motorradbrille eine Kalaschnikow unter dem Mantel hervorzieht
und damit jeden möglichen Widerstand im Keim erstickt.
Im Barwagen schlägt die fröhliche Stimmung um und weicht Entsetzen.
Einzelne Gäste versuchen heimlich, ihren Schmuck zu verstecken. Als
jedoch der Gangsterboss höflich, aber bestimmt alle Passagiere zum
Verlassen des Zuges auffordert, will ihm zuerst niemand glauben. Eine
Frau scheint nicht mehr zu wissen, was sie tut. Sie setzt sich vor ihm
auf einen Sessel und nimmt gedankenverloren einen Schluck aus ihrem Weinglas.
Etwas unsanft zieht sie der Gangster auf, befiehlt ihr, ihre Jacke anzuziehen
und auszusteigen. Nach und nach folgen die anderen Passagiere. Während
sich der Zug leert, sammeln sich die überrumpelten Gäste als
verlorener Haufen auf dem Bahnsteig.
18 Uhr 19: Der Zug ist bis auf das Personal hinter der Bar leer.
Auf dem Perron versucht einer der beiden Inhaber der Firma Railevent die
Initiative an sich zu ziehen und die Gangster zu verwirren: Er erkundigt
sich, was sie nun machen sollten. Die Gauner aber handeln wie Profis:
Er wird einfach ignoriert. Eine Handtasche und eine liegengebliebene Jacke
werden aus dem Zug gereicht.
18 Uhr 20: Wiederum geschehen mehrere Dinge beinahe gleichzeitig:
- Der Herr im Mantel mit der Kalaschnikow steigt auf den Zug.
- Der Gangsterboss eilt zu seinem Citroën, schliesst die Haube und
braust davon.
- Der Motorradfahrer startet seine Indian und folgt ihm.
- Der Zug setzt sich rückwärts Richtung Bauma in Bewegung. Die
übrigen Gangster bleiben an Bord.
18 Uhr 31: Der Zug trifft zur Überraschung des Bahnpersonal
wieder in Bauma ein, die Gauner verlassen den Zug und verschwinden mit
der Indian und dem Citroën.
Nach Aussagen
des Personals des Barwagens liess sich die Gangsterbraut im Zug von ihnen
verwöhnen und genehmigte sich ein Glas Weisswein, wobei sie während
der ganzen Reise das Personal mit ihrer Parabellum in Schach hielt. Aus
diesem Grund können keine Aussagen gemacht werden, was der Herr mit
der Kalaschnikow während der Fahrt im Zug machte. Erst später
im Laufe der Untersuchung stellte sich heraus, dass der Gepäckwagen
leer war. Auf Grund der eindeutigen Zeugenaussagen muss mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die berühmt-berüchtigte
Traction Avant - Bande erneut zugeschlagen hatte. Und einmal mehr sind
die Gangster unerkannt entkommen. Über die Höhe der Beute kann
nur spekuliert werden, denn die Behörden machen dazu keine Angaben.
Der wohlorganisierte, perfekt durchgezogene Ablauf des Überfalles
deutet jedoch auf eine professionelle Organisation hin, so dass angenommen
werden muss, es handle sich nicht nur um ein Trinkgeld!
Happy End hingegen für die Reisegesellschaft, die so überraschend
ihres Zuges beraubt wurde: Eine zufällig vorbeigekommene Gruppe der
ländlichen Bevölkerung nahm sich der Gestrandeten an. Auf Umwegen
zwar, und nach dem Lösen verschiedener Aufgaben, wurde sie in einem
umfunktionierten Kuhstall auf das Beste verköstigt. Bei rassiger
Musik konnten die erlittenen Strapazen rasch vergessen werden.
Und Happy End natürlich auch für die Gangster, die unerkannt
entkamen, und nun wohl irgendwo ihre Beute aufteilen - und bereits den
nächsten Überfall planen...
Daniel Eberli
CTAC
Press
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